Schnell mal nach Afrika
Ich sitze gerade in Schwäbisch Gmünd im Arbeitslosencafé und rühre meinen Café nicht um.
Jack Kerouac, "Die Straße der Ölsardinen" von Steinbeck und dergleichen Literatur,
der Hunger nach Neuem und Abenteuern schärfen meine Sinne auf spezifische Art. Da vernehme ich das Wort Afrika vom
anderen Ende des Raumes. Ohne zu zögern schlendere ich hinüber, klinke mich in das Gespräch mit ein und lerne
Peter und Robby kennen. Es geht darum, Autos nach Afrika zu überführen, genauer gesagt von Genua mit dem Schiff nach Tunis und dann über Algerien und die Hoggarpiste nach Niger, um dort die Wagen zu verkaufen. Spontan entscheide
ich mich mitzufahren.
Die Vorbereitungen müssen schnell gehen. Ich muss binnen einer Woche
- ein Auto kaufen
- das Visum für Algerien besorgen
- mich evtlentuell gegen Gelbfieber impfen lassen oder mit dem Risiko fahren, nicht nach Niger einreisen zu können
- Geld, die nötige Ausrüstung und natürlich auch Informationen für eine Wüstendurchquerung beschaffen
Nach einer Woche sitze ich tatsächlich in einem Auto, Marke BMW 520, mit knapp 250 000 km auf dem Tacho, vollgestopft mit Zeug auf der Autobahn Richtung Singen. Wie wir es schaffen bis Genua 23 Stunden zu brauchen ist mir ein Rätsel. Es ist wahrscheinlich das erste Zeichen für Robbys Unfähigkeit, die Reise zu führen, was er für sich in Anspruch nimmt. Es ist sogar fast schon das Ende meiner Reise, denn um drei Uhr nachts schlafe ich fahrend ein und nur weil gerade ein anderes Auto überholen will und fürchterlich hupt knalle ich nicht in die Leitplanke. Später geht es dann etwas besser. In den Serpentinen runter nach Genua heizen wir so, dass mich das Adrenalin wach hält. Es regnet in Strömen und das schwere Auto slidet oft durch die langen Kurven. An der Grenze der Haftreibung zu fahren ist sicherer, als einzuschlafen.
Fahrt nach Touggourt
Auf dem Schiff treffen meine zwei Compañeros ein Pärchen, Thomas und Silke, welches sie schon bei der Autosuche in
Deutschland öfters getroffen haben und ich lerne den ca. 20 jährigen Daniel aus Göttingen kennen. Die drei
sind auch mit Autos unterwegs und schließen sich uns an. Daniel ist der einzige von uns, dessen primäres Ziel
nicht das Autoverkaufen ist. Er will ein Architekturpraktikum in Ghana machen.
Ich brauche noch Material zum Aussanden. In Tunis besorge ich für teures Geld zwei Planken als hölzerne
Sandbleche.
Durch Tunesien sind wir schnell durch. Ich leihe den anderen großzügig Sprit, der ihnen ausgegangen ist. (Sie haben mir nicht
gesagt, dass der Sprit in Algerien viel billiger ist, als in Tunesien und mich dort kommentarlos volltanken lassen.)
Doch an der Grenze müssen sie schon büßen. Der Zöllner kontrolliert die Kofferräume ihrer Autos und bedient sich nach Belieben.
Meine Reisegefährten schauen staunend und schweigend zu. Bei der Durchsuchung meines Autos erlaubt er sich
nichts dergleichen. Ich würde mir das auch nicht gefallen lassen.
An der nächsten Tankstelle löschen wir den Durst unserer Autos, und ich schließe das Auto vorsichtshalber
ab, der Schlüssel steckt im Zündschloss. Zwei Araber helfen mir mein Gefährt zu knacken. Das falsche
Misstrauen, aufgrund dessen ich das Auto abschloss, obwohl ich mich nicht weit von ihm entfernte, und dann noch so
dumm war den Schlüssel stecken zu lassen, ist mir etwas peinlich.
Einmal führt die Straße hinab von einer Hochebene. Hier beginnen die nördlichen Ausläufer der
Wüste. Vor mir breitet sich eine riesige, in der Abenddämmerung in violett - rosanes Licht getauchte Ebene aus. Es ist atemberaubend!!!
Man könnte meinen, man sei auf einem anderen, viel größeren Planeten. Ich steige aus und lasse diesen neuen
Planeten auf mich wirken. Wahnsinn!!! Wie kann das sein? Die gleiche Erdkugel, nur viel größer!
Die Fahrt geht langsam voran. Wir sind zu sechst. Mal muss der eine, mal muss der andere, mal muss einer Fotos machen. Es ist zäh.
Beim Reifenverkauf verhandeln die anderen ohne Gefühl für die Schmerzgrenze, echte Gastfreundschaft wird
verdächtigt falsch zu sein und so weiter. Ich mache das alles missmutig mit, in Touggourt gehe ich ins gleiche
Hotel wie die anderen, suche mir aber eine eigene Werkstatt, um meine Karre herrichten zu lassen. Langsam lasse ich mir
nicht mehr reinreden. Zuviel ist schon von diesen Hornochsen verbockt worden. Zum Beispiel ist Robby in Zürich
fälschlicherweise geradeaus gefahren. Anstatt ihn zu überholen und anzuhalten biegt Peter einfach richtig ab und
schon haben wir uns verloren. Die Sucherei kostet entsprechend Zeit (in Vororten von Zürich.) In Tunesien machen sie mit 130 - 140 km/h Rennen auf afrikanischen Straßen und glauben
so Zeit zu gewinnen. Zeit gewinnt man mit ausdauerndem Fahren, nicht mit schnellem. Und wofür will man denn die Zeit gewinnen?
Jetzt sitzen wir zwei Tage im Hotel am Pool und warten auf die Fertigstellung unserer Autos. Weiße Dekadenz im fast schwarzen Afrika. Es gefällt mir nicht.
Die Eindrücke von Algerien sind wegen des Ramadans kaum durch Essen geprägt. Wenn wir tagsüber essen gehen,
fordern "wir" instinktlos das Zubereiten einer Mahlzeit von Leuten, die erst nach Sonnenuntergang essen dürfen. Es ist
schwierig, tagsüber etwas zu essen zu organisieren.
Wir schlendern durch die Straßen aus Sand, besorgen dies und das, entdecken die Reziprozität der Wertung von
Material und Arbeitskraft im Vergleich zu Europa. Das ist auch der Grund ist, warum in Afrika nichts weggeworfen wird, was
nicht noch irgendwo zu irgendeinem Zwecke zu gebrauchen oder zu reparieren ist. Die Läden sind gefüllt mit buntem Kitsch, ein
völlig anderer Kitsch als bei uns, aber doch eben Kitsch. Kurz vor Touggourt gehen wir mal wieder Essen. Beim Aufbrechen
fahren die anderen schon los, während ich und Daniel noch nicht so weit sind. Wir verlieren uns natürlich. Ich
finde den direkten Weg aus diesem malerischen Oäschen mit Häusern aus Lehmwänden, Eselskarren und Palmen, und
gebe Gas um meine Kollegen einzuholen, die in Wirklichkeit hinter mir sind. Es wird Nacht. Daniel klebt hinter mir. Schilder
warnen vor Sandverwehungen und tatsächlich ragen kleine Dünen teilweise bis zur Mittellinie in die Straße. Vorsicht ist geboten, denn eine Sanddüne ist hart wie Beton. In Touggourt warten wir und nach einer halben Stunde sind wir
wieder komplett.
Im Krankenhaus von Touggourt gibt es keinen Impfstoff gegen Gelbfieber. Hier drinnen bin ich heilfroh, gesund zu sein. Der
Gedanke an den hiesigen medizinischen Standard lässt mich trotz der Hitze erschaudern.
Bei Bediz, einem fast schwarzen Araber, lasse ich den BMW höher legen und natürlich kommt ein Blech unter die Ölwanne.
Abends streunen wir durch die Stadt. Von ferne hören wir Trommeln, gehen dem Geräusch nach, spähen durch
ein Gebüsch und sehen eine Gruppe Schwarzer. Sie trommeln, und in ihrer Mitte tanzt einer im Trance wie wild. Wir bleiben nicht lange stehen. Uns wird nämlich unheimlich unheimlich.
Zur Probe in den Sand
Noch in Touggourt verabschieden wir uns von Robby und Peter, die mir nicht viel Glück gebracht haben. Thomas und
Silke begleiten uns noch ein kleines Stück. Daniel und ich haben uns entschlossen eine Strecke zu nehmen, die uns ein
Deutscher aus dem Hotel in Touggourt empfohlen hat. Wir werden ihn noch verfluchen. Thomas und Silke entscheiden sich
für die Straße über InSalah, die anscheinend aus mehreren hundert Kilometern Baustelle besteht.
Robby und Peter werden ihren eigenen Spaß miteinander haben, wie ich nach der Rückkehr erfahren werde: Das Federbein
von Peters Daimler hat sich einmal ausgehakt und soll geschont werden. Deshalb nimmt Robby das gesamte Werkzeug in sein
Auto. Er fährt voraus, verfährt sich, findet zurück zur Strecke und meint, Peter wäre vor ihm. Um ihn
einzuholen gibt er ordentlich Gas. Peter hat jedoch eine Panne gehabt und muss auf fremde Hilfe warten, da er selbst
kein Werkzeug hat. Ein Italiener hilft ihm und schließt sich ihm an. Die Beiden kommen auf eine falsche, ins Nichts
führende, alte Militärpiste und hätten nach Tamanrasset zurückfahren müssen. Sie versuchen zur
richtigen Piste zu queren. Das ist selbst gefährlich, wenn man einen Geländewagen besitzt. Hier sind 1987 vier
Deutsche verdurstet, die es versuchten. Einen hat man bis heute noch nicht gefunden. Ihre Autos sehen wir am Zoll in
In-Guezzam.
Peter rast in eine Sanddüne. Der Kühler von seinem Auto ist verschoben und die Schläuche sind teilweise
gerissen. Mit einer Schere! behebt er den Schaden. Robby wartet in der nächsten Stadt und lässt es sich gut gehen. Peter ist entsprechend sauer. Aber das nur nebenbei.
Die Asphaltbahn führt uns nach Süden. Die Landschaft ist wie frisch gebügelt, nur am Horizont türmen
sich rosa Dünen auf. Wir erliegen der Verlockung und fahren trotz der Angst vorm Einsanden hinüber, um eine
dieser Dünen zu besteigen. Am Fuße der Dünen sind wir erstaunlicherweise noch nicht eingesandet. Wir
rangieren noch etwas herum, um später besser losfahren zu können und stecken prompt richtig im Sand. Das
sind die ersten Etüden im Aussanden.
Später kurven wir abseits der Straße wie bei der Rallye Paris-Dakar durchs Gelände. Die Weite ist zu
verlockend und man macht nichts kaputt, und der nächste Wind verwischt die Spuren wieder. Plötzlich werden wir
aber von einem Polizeijeep gestellt. Schlechtes Gewissen wie die Schulbuben; die Flics kontrollieren aber nur unsere
Papiere und verschwinden genauso schnell wie sie gekommen waren.
Auf der schmalen Straße nach Hassi-Messaud kann man schlecht überholen. Wenn man einen LKW vor sich hat ist
es noch schwieriger. Hinterherfahren will ich nicht, deshalb entschließe ich mich den Lkw querfeldein zu überholen. Ich bremse leicht, fahre runter in den Sand
und gebe Gas; ziehe an dem Lkw vorbei. Das Gelände ist gnädig. Ich arbeite einen kleinen Vorsprung heraus, weil
ich um wieder auf die Straße zu kommen bremsen muss. Wieder auf der Straße gebe ich ordentlich Gas, und
schaue in den Rückspiegel nach dem Lkw, der bedenklich nahe kommt. Als ich wieder nach vorne schau werde ich eines
riesigen Schlaglochs gewahr, ein ungeheuerliches Schlagloch! Ich trete mit aller Entschiedenheit in die Bremse. Das Auto
hingegen ist schwer. Ich muss einsehen, dass ich das Fahrzeug vor dem Schlagloch nicht mehr zum Stehen
kriege, was dem Auto jedoch gut bekommen würde. Ich lasse die Bremse los, denn wenn die Kräfte, die beim Bremsen
auf das Fahrwerk wirken mit den Kräften beim Durchfahren eines Schlaglochs zusammenwirken geht aller Wahrscheinlichkeit
irgendwas kaputt. Ich halte mich fest und donnere durch das Loch hindurch. Ich wundere mich noch, dass die Räder
noch dran sind, da kommt auch schon das nächste "Schlagloch". Mir wird klar, dass es so nicht mehr weiter geht.
Ich reiße das Steuer nach links, das Auto hebt ab, fliegt ein Stück und landet mit einem gewaltigen Ruck im Sand, wo ich es nach ein
paar Metern zum Stehen bringe. Im Bewusstsein, das die Reise für mein Autochen hier zu Ende ist steige ich langsam und gefasst
aus. Der LKW- Fahrer hat angehalten und kommt zu mir rüber. Er fragt, ob mir etwas passiert ist. Ich verneine, er fährt weiter.
Nachdem ich Radaufhängungen und Lenkung untersucht habe stellt sich heraus, das Auto hat nichts!, obwohl es über
5m im freien Flug die "Böschung" hinunter geflogen ist. Eine kurze Gedenkminute an die Herren Ingenieure in München wird eingelegt. Und weiter geht’s.
Café
Wir sehen ein Café-ähnliches Gebäude an der Straße und halten an. Es ist eine Bretterbude. Wir betreten es. Drinnen ist es in zwei Räume aufgeteilt. Aus dem Hinteren dringen Geräusche, als stürbe jemand. Wir gehen gleich wieder.
Die "Abkürzung"
Es ist ca. der 19 April. Die "Abkürzung" über Amguid macht viel Freude. Jetzt wird es ernst. Hier endet die befestigte Straße und es beginnt die Piste. Das bedeutet, unsere Fahrzeuge sind für das hier nicht ausgelegt. Wir müssen mit ihnen so umgehen, dass sie es dennoch schaffen.
Wir bleiben oft stecken. Am ersten Abend steht es mit dem Einsanden 9:7 für mich. 35 km
Piste haben wir hinter uns. Bis Tammanrhasset sind es insgesamt 600 km. Unsere Moral ist schon angeschlagen. Die ersten Kilometer sind brutal. Die Autos sind mit 140 Litern Sprit und 50 Litern Wasser schwer beladen, Die Piste ist furchtbar. Steinplatten wechseln sich ab mit zugedeckten Findlingen und Sandlöchern. Man kann wegen der tiefen Wellen nicht schnell fahren, aber genau das müsste man tun, um nicht in den Sandlöchern stecken zu bleiben. Wie konnte uns dieser Typ nur diese Strecke empfehlen??? Unsere Autos überleben das hier nur mit Glück und Können. Eigentlich umgekehrt: Mit Können und dem Glück, das Können rechtzeitig zu lernen.
Jedenfalls ist das hier eindeutig etwas für Geländewagen. Ich muss zum ersten mal einen Stein zwischen Bremsscheibe und Abdeckblech entfernen. Es macht beim Fahren einen Höllenlärm. Also aufbocken und Rad ab.
Daniel hat festgestellt, dass man uns die Karte geklaut hat. Das ist gar nicht gut. Schlecht ist auch, dass wir keinen Dosenöffner haben. Das Essen wird provisorischer.
Einmal ziemlich am Anfang der Sandetappe wissen wir nicht, in welcher Richtung wir weiterfahren sollen. Wir können
die Entfernungen auf der uns verbliebenen Karte noch nicht auf die Wirklichkeit umsetzen. Abwechselnd stellen wir uns auf's
Autodach und halten am Horizont nach einer Staubfahne Ausschau. Irgendwann kommt vom Horizont her ein Dreiachs- LKW auf uns
zugefahren. Wir winken, er hält direkt auf uns zu und stoppt. Die arabischen Fahrer haben Zeit für ein
Gespräch. Sie erklären uns wo es weiter geht. Wir essen gemeinsam. Reisende sind wie auch Kranke, Kinder und
Alte vom Ramadan ausgenommen. Anschließend lassen sie mich mit dem LKW eine kleine Runde drehen. Er bleibt mir zwar
im Sand stecken, doch sie können ihn wieder rausfahren. Jetzt wollen sie mit meinem BMW fahren, drehen eine kleine
Runde, wir verabschieden uns und sind wieder alleine.
Der zweite Abend auf der Piste
Wir haben einen Tag der Härte zehn hinter uns. Die Piste war gut und wir waren schnell, mussten aber immer wieder aussanden. Es war den ganzen Tag bedeckt. Die Sonne hat kräftig durch die Wolken gebrannt. Verbunden mit einer feuchten Hitze sind es die besten Voraussetzungen für Kopfschmerzen bis hin zum Erbrechen. Wenn ich unter solchen Bedingungen einsande oder den Auspuff abreißt, bin ich sogar zu fertig um zu fluchen und dergleichen. Die Stimmung wird gereizt. Gegen Abend bleiben wir entkräftet in einer langen Kette von Sandlöchern stecken. Der Platz ist nicht schön. In nächster Nähe 5-6 ausgeschlachtete, sandgestrahlte umgekippte Schrottautos, ein Anzeichen für eine schwierige Stelle. Erstmal hinlegen und schlafen. In Amguid, einem Dorf aus ein paar Blech- und Strohhütten halten wir einige hundert Meter entfernt an. Ein Targi kommt zerlumpt auf uns zu und erbettelt Zigaretten. Ich werde nie den Ausdruck seiner Augen vergessen, sein glühender Blick, der doch schon verloschen war, ein Spiegelglanz auf der Pupille, der gleichzeitig Unverletzlichkeit und Tod ausdrückt.
Dritter Abend
Morgen können wir es bis zur nächsten Stadt schaffen. Deshalb gibt es heute Abend eine Dusche
(zwei Liter Wasser). Beim Eisanden steht es 12:10, für wen ist doch scheißegal.
Die riesigen Ebenen verdeutlichen einem die Erdkrümmung. Man
meint immer, es ginge 200 oder 300 Meter bergauf über einen kleinen Hügel und dann bergab. Dieses Gefühl
hält die ganzen 200 km der Ebene an. Die Sonne wandert von links nach rechts, und so glaubt man immer eine riesige
Linkskurve zu fahren, obwohl der Kompaß bestätigt, dass es immer geradeaus geht.
Nach der Ebene wird das Gelände schwer, (erster Gang, Tachonadel hebt nicht ab) bis schwierig (Abschnitte auf denen man 80 - 110 km/h fahren kann, dann plötzlich tiefe Querrinnen) Das Schutzblech unter der Ölwanne wird arg verbogen.
Die vorderen Stoßdämpfer sind schon über den Niger. Bei tiefen Querrinnen schlagen sie durch, und wenn man
dann die Nerven aufgrund der harten Schläge, die direkt auf die Karosserie gehen verliert und bremst, taucht der Wagen
vorne ein und das Durchschlagen wird ganz schlimm. Ein weiterer Effekt einer Vollbremsung ist die Dunkelheit, die einen
umgibt, wenn man von seiner eigenen Staubfahne überholt wird und der Dreck, der sich dabei im Wageninneren verteilt.
Immer wieder sind Steine in der Bremse. Dann löst sich das Ölwannenschutzblech. Ich lege mich unter das Auto und
fixiere es notdürftig mit Draht. Daniels Auto bleibt stehen. Irgendwas mit dem Vergaser ist nicht in Ordnung. Über
uns kreisen Geier. Neben uns ist ein Erg, ein Sandhaufen von einer beträchtlichen Dimension. Er ist ca. 400 m hoch, 5 km
breit und 32 km lang. Ich bin sehr beeindruckt.
Amguid - InEcker
Nach vier Tagen haben wir die 600 km Sand hinter uns. Über die ersten Zeichen der Zivilisation freuen wir uns wie
Kinder. Das erste was wir sehen ist ein Schild. Als wir näher kommen entdecken wir, dass wir es von hinten
sehen. Wir fahren darum herum und lesen es: "Betreten verboten, Sperrgebiet!" Mir fällt dabei ein, dass die
Franzosen Atomwaffenversuche in der Sahara gemacht haben. Sind wir da gerade durchgefahren?
Dann erreichen wir auf die Straße, und finden bald ein kleinen Restaurant in InEcker. Es geht uns gut. Der Wirt Mohammed
ist der erste, der keine Geschäfte machen will. Es bedient uns und sitzt nur da, mit der Ruhe eines Buddhas, lächelt. Die Leute
kommen und gehen, er sitzt und lächelt.
Tamanrasset am Fuße des Hoggargebirges
Tamanrasset ist eine alte Karawanenstadt.
Hier installieren wir uns auf dem Campingplatz. Zur Hochsaison, also im Winter, kommen hier täglich bis zu
60 Autoschieber auf ihrem Wege in den Niger vorbei. Jetzt ist es Anfang Mai und schon zu heiß, und deshalb sind nur noch
wenige unterwegs. Es sind hauptsächlich Holländer, Deutsche, Österreicher.
Die arabischen LKW-Fahrer oder Kamelkarawanen lagern in einem ausgetrockneten Flußbett mitten in der Stadt unter
Bäumen.
Wieder gehen zwei, drei Tage mit Organisation ins Land: Benzin gibt es nur begrenzt und wie man sagt von sehr schlechter Qualität, trinkbares Wasser bekommt man auch nicht überall, Geschäfte weden gemacht, Tauschwaren gegen Reparatur, natürlich wird an den Autos nochmal rumgeopelt und ich brauche meine Gelbfieberimpfung.
Das Krankenhaus in Tamanrasset sollte man gesehen haben, um unseren medizinischen Standard relativieren zu können. Die
Räume sind weiß gekalkt, der Fußboden ist gestampfter Lehm, die Decke aus Schilfmatten. Irgendwo
schreit ein Kind. Beim Gedanken, ich müßte hier operiert werden befahlt mich das kalte Grausen. Ich bekomme
Gott sei dank nur eine Spritze. Mir wird der Impfschein ausgestellt und als ich das ganze bezahlen soll, ist der Schein
dem Pförtner zu groß, den kann er nicht wechseln, ein anderer ist ihm zu dreckig. Er lässt mich
ohne zu bezahlen gehen. Das ist Afrika. Ich nehme es an.
In diesen wenigen Tagen in Tamanrasset bildet sich eine internationale Clique, die Abend für Abend miteinander Essen
geht. Da ist unter anderem der schwarze Bänker aus Amsterdam, ca. 50 Jahre alt, ein echter Gentleman. Er reist mit LKW,
die hier als Busse fungieren. Sie haben Holzbänke auf der Pritsche und winzige Löcher in der Plane. Ich möchte
nicht mit ihm tauschen. Ansonsten Wüstenfahrer, Autoschieber,...
Es ist eine unbeschwerte Zeit. Man zählt die Tage in Afrika irgendwie anders. Vielleicht zählt man einfach nur nicht
so genau.
Eines Morgens gehe ich um sechs Uhr zu den nahen Felsen und klettere. Doch es ist schon bald zu heiß.
In Tamanrasset ist es schön, doch als wir es verlassen, bin ich doch froh, wieder einen Teil der Reise abgeschlossen zu
haben, um dem Ende, dessen Ausgang noch offen ist, näher zu sein.
Die große Sandetappe
Vor uns nur noch Sand. Die zweite Etappe. Hoffentlich halten die Autos. Aufgrund unserer Erfahrung von der ersten Etappe sind
wir einigermaßen gelassen. Die Strecke führt uns durch ein Oued, deswegen bereitet uns die Orientierung keine
Schwierigkeiten.
Doch die vorderen Radlager machen Geräusche und ich ärgere mich, dass ich sie nicht in Tamanrasset gefettet
und nachgestellt habe. Aus großem Respekt vor der Wüste hole ich diese Aktion kurzerhand sofort nach. Die Lager
sind schnell ausgebaut und in Benzin ausgewaschen. Hier machen wir einen Fehler. Um Benzin zu sparen, verwenden wir das
Benzin- Fett- Gemisch mit dem ich die Radlager geputzt habe in unserem letzten Kocher, als wir uns eine Suppe zubereiten.
Er verstopft und wird unbrauchbar. Für unseren anderen Kocher ist uns der Brennstoff ausgegangen und Holz gibt es hier
nicht. Deswegen fallen Suppen von jetzt an aus. Wir kommen nicht mehr weit und schlagen ein einsames Lager in einer wieder
mal bizarren Landschaft von rotem Sand zwischen großen grauen Felsblöcken auf. Und wieder genehmigen wir uns eine
Dusche. Das Wasser kommt einem fremd vor auf der Haut, hier inmitten der maximalen Trockenheit.
Der nächste Tag bringt uns erneut Hitze, Staub, Sandbleche schleppen, Schaufeln.
Um zu verdeutlichen, was es bedeutet, hier eine kleine Ausführung: Wenn das Auto einmal so richtig
steckt, sollte man nicht versuchen doch noch ohne andere Hilfsmittel herauszufahren. Je früher man erkennt, dass
rausschaukeln nicht funktioniert, desto besser. Eine gute Einschätzung der Lage verhindert tieferes absacken, so wie im echten Leben. Man muss dann andere Maßnahmen ergreifen. Eine gute Idee ist das
Luft ablassen. Die Reifen bekommen dann eine wesentlich größere Auflagefläche und man verbessert seine Chancen auf's Weiterkommen. Das
Aufblasen der Reifen erledigt danach unser 12 Volt Kompressor gespeist vom Zigarettenanzünder. Es dauert ca. 15 bis 20 Minuten bis die Reifen wieder so viel Druck
haben, dass sie größere Strecken unbeschadet überstehen.
Wenn Luft ablassen nichts nützt, müssen die Sandbleche her, die ich in Touggourt doch noch gekauft habe. Es
ist eigentlich nur ein Sandblech und in der Mitte quer aufgetrennt, so dass es zwischen Vorder- und Hinterrad paßt.
Das ist bei einem Auto mit Hinterradantrieb wichtig, denn ein Sandblech nutzt nur unter einem angetriebenen Rad etwas. Wenn das Auto zu tief im Sand steckt, muss man es mit dem Wagenheber anheben, um die Sandbleche direkt unter das Rad schieben zu können. Ein kleines Brett unter dem Wagenheber verhindert das Einsinken. Falls nicht genügend Platz ist, den Wagenheber anzusetzen, muss man vorher ein Loch graben.
Wenn man diese Prozedur an beiden Hinterrädern gemacht hat kann man versuchen, ob der Anlauf von der Länge eines halben Sandbleches reicht, um aus dem Sandloch zu fahren. Wenn nicht, geht alles von vorne los. Wenn er reicht, stellt man den Motor ab,
sobald man spürt, dass fester Sand unter dem Auto ist. Dann läuft man zurück, um die Sandbleche, die
Schaufel, den Wagenheber und das Brett zu holen, und im Auto zu verstauen. Ich weiß nicht wie schwer Sandbleche sind.
Zu leicht sind sie mir nicht. Man bindet sie aufs Dach und los geht's in Richtung nächstes Sandloch.
Es ist ein zermürbender Kampf. Automatismen machen sich breit, - im Handeln wie im Denken. Man schaltet ab, und beim
"Abendessen" höre ich deshalb nicht die warnende Stimme im Hinterkopf, finde meinen unlöschbaren Durst nicht
merkwürdig. Die Gegend hier ist feindlich und unwirtlich, und wir haben keine Möglichkeit unsere Moral etwas
aufzubauen, zum Beispiel mit einem guten Essen, einen guten Lager, selbst für ein Gespräch ist keine Kraft mehr.
Bei mir machen sich die ersten Salzmangelerscheinungen bemerkbar, die mir jedoch nicht auffallen. Ich hänge an der
Wasserflasche, bekomme nach und nach einen Wasserbauch. Der Durst bleibt. Wasser abschlagen ist mir unmöglich,
obwohl mir fast die Blase platzt. Eine Gleichgültigkeit meinem Leiden gegenüber verhindert, dass ich
etwas gegen meine stärker werdende Kopfschmerzen tue. Ich müßte Salz essen. Auch Schlafen täte
gut.
Sandsturm
Ein aufkommender Sandsturm zwingt uns in den Autos zu verweilen. Ich bringe alle Überwindungskraft auf, mir
einigermaßen Platz zu schaffen. In der Nacht mache ich kein Auge zu, höre nur draußen den Sturm und
beobachte, wie Staub durch die Lüftungsschlitze und Ritzen eindringt, und sich in einer immer dicker werdenden
Schicht auf das Armaturenbrett und auch überall sonst hinlegt. Die Nacht scheint kein Ende zu haben.
Am nächsten Morgen ist die Sicht nur wenige Meter. Der Sandsturm verdunkelt den Himmel. Die Reservereifen, die
ich am Abend zuvor aus dem Auto geworfen habe, sind fast ganz von Sand bedeckt. In ein paar Stunden würde ich
sie nicht mehr finden. Mechanisch mache ich mich für den Aufbruch bereit. Der ansonsten allmorgendliche Check
von Öl, Wasser und Luftfilter fällt aus. Ich lasse den Motor lange warmlaufen, denn vor uns ist ein langes
Sandfeld, in dem ich mit kaltem Motor steckenbleiben würde. Ein kalter Motor hat weniger Drehmoment. Dann gebe
ich Gas und hoffe, wünsche und bete, nicht steckenzubleiben. Ich habe Glück und komme durch, und auf der
anderen Seite des Sandfeldes warte ich auf Daniel; - Er kommt nicht. Ich warte länger als üblich und schaue
aus Mattigkeit auch nur in den Rückspiegel, anstatt loszulaufen und zu schauen, wo er bleibt. Irgendwann entdecke
ich etwas zwischen den vom Wind hin und her gewehten Sandfetzenschlieren, doch es ist nicht Daniels Peugeot, sondern
er selbst und zu Fuß. Er erzählt mir, dass sich sein Auto nicht von der Stelle bewegt; die Kupplung
greift nicht.
Im Nachhinein verstehe ich nicht, wie ich auf die rettende Idee gekommen bin, da mein Denken auf das Befolgen von
Instinkten beschränkt war. Obwohl es unsere einzige Möglichkeit ist, muss ich Daniel lange dazu
überreden, es zu versuchen; er macht sich schon Gedanken, das Auto aufzugeben.
Auf jeden Fall mache ich meinem Weggefährten nach einer Diskussion klar, dass die einzige Möglichkeit
an der Kupplung etwas zu machen die ist, hundertmal das Pedal zu treten. Eine anscheinend blöde Idee, aber wirklich
das einzig Machbare. Aber es hilft. Es muss der Sand gewesen sein, der sich irgendwo dazwischen setzte.
Wir setzen unseren Weg fort. Die Sicht ist so schlecht, dass man eigentlich warten müßte, bis der
Sandsturm vorbei ist, aber das Warten würde unsere schwache Moral endgültig zerstören, und so
beschließen wir zu fahren, solange wir die Pfähle finden, welche die Piste markieren und hier
glücklicherweise nur im Abstand von einem Kilometer stehen. Mein Orientierungssinn täuscht mich oft, zum
Beispiel müssen wir dem Pfosten bei km 200 leicht umfahren, da er auf einem steinigen Hügel steht, doch
anstatt einen 180° Bogen zu machen fahre ich 360° darum herum und würde zurückfahren, wenn Daniel nicht
einschritte, auf den ich mich in der Beziehung Orientierungssinn voll verlassen kann, und dem ich einfach
hinterher trotte. Meine Person ist nur gefragt, wenn sich das Auto mal wieder eingegraben hat. Der Wind heult und ich
stopfe mir Watte in die Ohren, denn der Sand prasselt schmerzhaft aufs Trommelfell. Die Augen sind ungeschützt.
Unter den Lidern bilden sich große Ablagerungen, Wülste aus verklebtem Sand, die ein Brennen wie bei einer Bindehautentzündung hervorrufen.
Gegen Mittag lässt der Sandsturm nach. Wir kommen in ein bergiges Gebiet mit sehr schwierigen Passagen.
Teilweise müssen wir aussteigen und die nächsten 50m erkunden, wie wir überhaupt durch kommen.
Mein Verhältnis zum BMW ist wie zu einem guten Freund, von dem alles abhängt, weil ziemlich viel von ihm abhängt.
Wenn ich mich nach dem Aussanden oder sonst einer Aktion wieder hinter das Steuer setze, gibt der vertraute Anblick
des Armaturenbrettes und der unmittelbaren Umgebung inklusive des Chaos auf Beifahrersitz und Rückbank ein gutes Gefühl.
Die Berge liegen irgendwann auch hinter uns, und in der Ebene danach schöpfen wir die leise Hoffnung, heute noch die nächste "Stadt" zu erreichen.
Doch alsbald ereilt uns ein neues Unglück. Daniels Auto macht furchtbare Geräusche. Ich überzeuge mich
selbst davon. Es hört sich an, als wenn die Kardanwelle unten gegen das Bodenblech schlägt. Und so ist es auch.
Erstmal sind wir ratlos. Dann gibt uns ein Jeepfahrer, der vorbeikommt und sich die Sache ansieht, den Tip, die
Kardanwelle auszuhängen und das Auto abzuschleppen; und braust davon.
So geht denn Daniel daran, bockt seine Karre auf, ein Rad nach dem anderen, stellt es auf Steine und lässt
das Öl aus dem Kardangetriebe ab. Ich sitze lethargisch im Auto, versuche zu trinken, verbrenne mir ein Bein, als
ich aus Versehen Wasser darüber schütte, welches in der gnadenlosen Sonne gelegen hat, stelle mich des
Öfteren für eine viertel Stunde in die Wüste und versuche Wasser abzuschlagen, was mir trotz eines
Wasserbauches und einer zum platzen vollen Blase nicht gelingt.
Plötzlich sehe ich, wie Daniels Auto bedenklich auf den Steinpodesten wackelt. Ich schreie und renne los, um es noch
festzuhalten. Zu spät, auch Daniel kann es nicht mehr in seiner Position halten. Es rollt von den Steinen. Daniel
wird glücklicherweise nur leicht eingeklemmt. Ich bocke das Auto an einer Ecke wieder auf, er kriecht hervor, und ich
muss mir schwere Vorwürfe anhören, dass ich ihm bei dem Problem mit der Kardanwelle nicht hülfe.
Er nimmt mir den miserablen Zustand, in dem ich mich befinde nicht ab. Aber ihm geht es bestimmt auch nicht so gut, deshalb
ist das verzeihlich.
Es gelingt ihm nicht die Kardanwelle auszuhängen. Das Öl ist abgelassen, das Kardangetriebe offen, es
lässt sich auch nicht mehr schließen, und uns bleibt (beim aktuellen Wissensstand) nichts anderes
übrig, als dass ich ihn abschleppe. Ich dränge zum schleunigen Aufbruch, da ich (in meinem Wahn) immer noch
die Hoffnung habe In-Guezzam zu erreichen. Wir streiten, weil ich sofort los will. Es wird gleich dunkel. Daniel bereitet
sich eine kalte Tütensuppe, in der die fettigen Pulverklumpen schwimmen, isst sie tapfer; danach hängen wir
unsere Autos zusammen und los geht's.
Nichts ist so einfach wie in der Vorstellung. Wenn schon ein einzelnes Auto Schwierigkeiten hat, in tiefem Boden voran zu
kommen, ist es unmöglich, ein zweites abzuschleppen. Ich versuche es mit überhöhter Geschwindigkeit. Das
tiefe, wirklich tiefe Wellblech würde eine Höchstgeschwindigkeit von ca. 30 km/h zulassen, ohne dass die
Autos Schaden nähmen. Statt dessen fahre ich mit 60 km/h durch, zweiter Gang, Vollgas. Der Motor hat genügend
Leistung. Doch das Fahrwerk schlägt brutal durch. Ich versuche es nicht wahrzunehmen. Doch irgendwann wird es zu
schlimm. Ich versuche links oder rechts ein besseres Stück Piste zu erwischen, kurve hin und her und werde endlich
erlöst. Das Auto sitzt bis zum Bodenblech auf. Aus für heute. Und morgen? Es wird dunkel und mit letzter Kraft
erledigen wir die wenigen Handgriffe, die zum Schlafengehen nötig sind. Eine Polizeipatrouille kommt noch vorbei und
fragt nach einem liegengebliebenen Fahrzeug. Wir können nur vage Auskunft geben. Nachts ist es so heiß,
dass ich nur in Unterhosen auf meinem Schlafsack liege.
Morgens wache ich durch einen Schrei auf, den ich selbst ausstoße. Kurze Zeit hänge ich einen halben Meter
waagerecht in der Luft. Ein Tier, Insekt, nicht einmal zwei Zentimeter lang und schwarz hat mich in die Seite gebissen. Sofort bildet
sich eine blutig - eitrige Blase. Ich steche sie vorsichtshalber auf.
Nach dem ausgefallenen (im Sinne von nicht stattgefunden) Frühstück gilt es zu graben. Daniels Fahrzeug muss
aus eigener Kraft weiter. Abschleppen geht definitiv nicht. Es würde auch meine Kupplung und somit beide Fahrzeuge kosten. Wir können nicht 50km Sandbleche legen.
Als wir endlich aus dem verfluchten Sandloch raus sind, halten wir alle zehn Kilometer an, damit das Differential ohne Ö nicht überhitzt. Mir geht es etwas besser. Als wir noch ca. 30km von In-Guezzam entfernt sind und ich wegen ausreichender Markierung der Piste keine Bedenken wegen der Orientierung habe, handele ich mit Daniel aus, dass ich vorfahre. Es ist nicht Nötig, dass ich mit ihm auf das Abkühlen seines Differentials zu warten, es ist ja nur noch ein Katzensprung bis zum Dorf.
Eine Katze springt in der Wüste locker 30 km.
Ich lasse Daniel hinter mir, folge den Pfählen über die Erdkrümmung und bin auf einer riesigen Ebene alleine.
Es geht wirklich sehr gut, die Markierungen sind klar, meine Aufmerksamkeit lässt nach. Eine kleine Anhöhe,
zwischen ein paar flachen Felsen hindurch und weiter. Die deutlichen Spuren sind wie Gleise. Ich lenke nicht mehr. Das Auto
folgt von alleine den Spuren. Als ich mich umschaue sehe ich keine Pfosten mehr, und auch vor mir sehe ich keine. Mir
fällt ein, dass es Leute gibt, welche die Grenzstation umgehen, also In-Guezzam umfahren, um erst in Niger zum
Zoll zu gehen. Bin ich auf dieser Piste? Ich weiß es nicht, beschließe doch lieber umzukehren. Ich reiße
das Steuer herum, so dass der Wagen in Drift gerät, steuere gleich wieder geradeaus. Das Auto hört langsam
auf zu driften und als es wieder geradeaus fährt ist die 180° Kurve perfekt. Das war cool. Noch fühle ich mich
gut. Ich folge meinen eignen Spuren zurück, muss aber bald mit Schrecken feststellen, dass ich alten Spuren
folge. (Nicht mehr cool.) Langsam schnürt sich mein Hals zu. Mir bleibt die Spucke weg. Ohne anzuhalten und es zu überprüfen glaube ich,
meine Spuren nach rechts verlassen zu haben. Wieder reiße ich das Steuer herum, 90° nach links. So
müßte ich meine alten Spuren kreuzen und könnte ihnen dann folgen. Wo ist der Hügel, den ich vorhin
überfahren habe? Aus einer anderen Richtung sieht alles ganz anders aus. Wie ist die Öltemperatur? Ein kurzer
Blick, alles o.k.. Meine Spuren finde ich nicht! Ich muss sie beim kurzen Blick auf die Armaturen überfahren
haben.
In so einem Fall sagt die Theorie soll man anhalten und nachdenken. Ich weiß es. Ich reiße das Steuer herum,
mir wird noch heißer. In meinem Kopf überschlagen sich schon Zahlen, manche mit der Einheit LiterSprit,
LiterWasser oder mit einer Zeiteinheit am Ende. Mir geht total die Orientierung verloren. Das ist auch kein Wunder. Es
gibt keine Orietierungspunkte. Die Sonne steht senkrecht! Der Schatten des Autos schaut an allen Seiten gleich weit hervor;
nicht viel jedenfalls.
Meine Freude ist unbeschreiblich, als ich einen Konvoi ungefähr in meine Richtung kommen sehe. Es sind vier Deutsche,
drei Männer, angeführt von einer jungen blonden Frau. Sie hat ihre Truppe voll im Griff.
Ich erzähle nichts von meiner Orientierungslosigkeit, sondern stelle mein schlechtes Befinden in den Vordergrund. Gesundheitlich geht
es mir ja auch beschissen. Sie geben mir Saft zu trinken und wir fahren. Die Richtung war doch richtig gewesen. Mir kommt
es noch ewig vor bis wir endlich in
In-Guezzam
sind. Baracken, alles der gleiche Farbton, graubeige, in gleißendes Licht getaucht, Gestalten. In einer
Seitenstraße links ein Restaurant. Ich parke davor, schließe ab, trete in das schattige Kühl und frage
den Mann hinter der Theke, ob ich etwas Wasser zum Waschen haben könnte. Er kommt zur Tür und zeigt mir
draußen auf dem Platz im grellen Licht den Brunnen. Das ist zu viel für mich. Ich schaffe es gerade noch zur
Tür und übergebe mich. Jetzt wird der Araber besorgt, bringt mir Wasser, ich wasche mich und beginne eine Trinkkur.
Stundenlang schlürfe ich ein Gemisch aus Orangensirup, Wasser und Salz. Es schmeckt abscheulich. Aber irgendwann
geht es mir besser.
Doch wo bleibt Daniel? Ich warte schon mehrere Stunden und habe als Vorsprung doch nur die Zeit, die er sein Differential
auskühlen lassen muss. Eigentlich noch weniger, denn ich habe ja Zeit "vertrödelt". Die Leute, die mich dann
mitgenommen haben meinen jetzt, sie müßten sich einmischen und machen mir Vorwürfe, weil ich meinen
Kameraden zurückgelassen habe. Sie können mich mal... Ich weiß, dass es richtig war.
Irgendwann taucht Daniel dann auch auf. Es war alles in Butter. Wir genehmigen uns erst einmal ein Mittagessen, mir geht
es besser und besser.
Die Reparatur von Daniels Peugeot stellt sich als "langwieriges" Unterfangen heraus. Als er endlich eine Werkstatt gefunden
hat treffen wir uns beim Abendessen, und er berichtet mir, wie die Reparatur vonstatten gehen soll. Eine Gummiplatte hat
sich von einer Metallplatte gelöst. Nun soll die Metallplatte wieder an die Gummiplatte geschraubt werden, da leider
kein Kleber vorhanden war. Ich habe Kleber dabei, sage es Daniel.
Am nächsten Morgen bringt Daniel den Kleber zur Werkstatt. Dieser Zweikomponentenkleber braucht zum Aushärten
zwölf Stunden bei 20°C. Wir haben 40°C. Laut Tabelle eine Aushärtezeit von 3 Stunden. Daniel will sichergehen
und entscheidet, dass erst nach 24 Stunden weitergearbeitet werden soll. So verrinnt meine Zeit. Als der Kleber hart
ist, wollen die Mechaniker die zwei neunzehner Schrauben, mit denen der Differentialdeckel aufgeschraubt war. Daniel hat
sie in der Wüste liegengelassen. Nun begibt er sich auf die Suche und fragte vorbeikommende Autodealer, ob sie
welche haben. Als er die Schrauben hat, schließen die Mechaniker das Differential und wollen das Öl, welches
auch in der Wüste ziemlich genau neben zwei 19ner Schrauben steht. Meine Geduld ist am Ende, und ich frage die
nächsten Durchreisenden, ob ich mich anschließen kann. Schon wieder wird mir vorgeworfen, meinen "Freund"
im Stich zu lassen. Dabei hat er hier alles, Werkstätten, Futter, Wasser und Leute, mit denen er weiterfahren kann.
Aber da es nicht mehr lange dauern kann wartete ich eben.
Während dieser vier! Tage bin ich auch nicht untätig. Ich habe mich mit einem Araber, Beddiaf angefreundet,
der wegen mir seine Abreise nach El-Goléa um zwei Tage verschiebt. Mit ihm ziehe ich herum, helfe Leuten, die
mit dem Auto Pech gehabt haben. Ihr Abschleppseil war beim Versuch, ihren VW Bus aus einem Sandloch zu ziehen, gerissen
und hatte den Kühler zerschlagen. Zwei auf Kamelen vorbeireitende Tuareg hatten den Kühler notdürftig
mit zerstoßenen Stofffetzen und Seife! geflickt.
Beddiaf und ich fahren zu einem alten Targi, der den Kühler irgendwie lötete. Der Preis, den er verlangt,
ist sehr hoch, bis Beddiaf ihn überzeugen kann, dass der Kühler nicht meiner ist. Ich würde den
Preis bezahlen, denn in dem Zelt sieht es verdammt ärmlich aus. Nur an Stolz mangelt es nicht. Auf der Rückfahrt
zu Beddiafs Haus geht im Font des BMW's eine Scheibe zu Bruch. Beddiaf sagte, die Hitze sei Schuld daran.
Für die Aktion mit dem Kühler bekomme ich zwei Dosen Bier, und ich bin tief bewegt. Ich versteh nicht genau
warum. Sucht und Durst scheiden aus. Vielleicht hatte es etwas mit Heimweh zu tun, und das Bier ist wie ein Gruß
aus der Heimat. Ich stecke die Dosen in nasse Socken, um sie zu kühlen, trinke sie dann aber doch sofort und warm.
Egal.
Irgendwie habe ich einen Sprung Franzosen kennengelernt. Eines Abends sind wir in einer kleinen Oase nahe In-Guezzam
eingeladen. Beddiaf ist auch dabei. In einem ummauerten Viereck stellen wir uns unter einen armdicken Wasserstrahl, ich nur in Unterhose. Eine kleine
Französin neben mir rutscht auf dem glitschigen Boden des Bassins aus, greift um sich um wieder Halt zu finden und erwischt etwas sehr
Handliches, was sie mir fast ausreißt. Die andere lachen sich kaputt.
Nach Sonnenuntergang gibt es dann unter brillantem Sternenhimmel Essen, Tee, wir sitzen auf Teppichen in diesem
prächtigen Garten, eine Pfeife wird herumgereicht wir unterhalten uns ehrfürchtig mit gedämpften Stimmen.
Nachts liege ich auf dem Rücken, lasse meinen Blick ins All hinunterfallen und versuchte mal wieder, möglichst
viel Größe des Weltalls zu ermessen, als eine riesige Sternschnuppe relativ langsam ihren Schweif über
den Himmel zieht und dann lautlos explodiert. Was ich mir dabei gewünscht habe, wird nicht verraten.
600 km geradeaus bis Arlit
Grenze Algerien - Niger
Daniels Auto ist wieder fit, wir fahren mit den Franzosen zusammen weiter. An der algerischen Grenzstation habe ich
Schiss, weil mein Deklarationszettel deutliche Radierspuren aufweist. Ich werfe ihn weg. Ich bin der letzte, der
heute noch über die Grenze kommt und übernachte mit ein paar der Franzosen im Niemandsland; Daniel mit den
anderen an der Grenzstation. Ein Peugeot der Franzosen hat schlapp gemacht. Sie haben einen Lastwagen gemietet
und den Wagen aufgeladen. In den Stauräumen des LKW ist Brennholz. Wir sitzen am Feuer, und der Lastwagenfahrer
erzählt Wüstenstories.
...Von einem Mann, den er verdurstend gefunden hatte, und den er mit Gewalt von dem Wasserschlauch fernhalten musste,
da ihn sonst die Osmose getötet hätte. Und von dem Jungen, der nur von der Sonne, also nicht am Durst, gestorben
ist.
Die Wüste ist wie das Meer, - groß, schön und manchmal erbarmungslos. Auch mein Respekt vor den beiden ist
ähnlich.
Wir brechen zeitig zur Grenze auf. Der Platz besteht aus einem Ring von Gebäuden, davor ein Schlagbaum. Hier haben sich ca. 30 Fahrzeuge gesammelt. Es liegt Müll verstreut im Sand, ein paar Soldaten hocken auf einem Mäuerchen, es herrscht undurchsichtiges Treiben. Ich steige aus. Die Sonne ist trotz der frühen Stunde schon sehr kräftig. Daniel ist noch an der Algerischen Grenzstation.
Ich frage verschiedene Leute, was ich zu tun habe. Ich finde heraus: Ich muss bei der Polizei meinem Pass abgeben, Geld wechseln, eine Versicherung abschließen, ein Carnet de Passage kaufen, eine Départementsteuer bezahlen, mein Auto durchsuchen lassen, meine Gelbfieberimpfung kontrollieren und ein paar Stempel
besorgen und Unterschriften leisten muss, bevor ich meinen Pass zurückbekomme. Auf dem Weg von einer Amtsbube
zur nächsten macht der tiefe Sand des Platzes die Schritte schwer. Irgendwann ist es geschafft, und ich kann mich in
eine Baracke begeben, in der es etwas gibt, auf dass man in Algerien verzichten muss: BIER. Diesen Augenblicks
habe ich schon lange geharrt. Glücklich, die ganzen Zollformalitäten hinter mich gebracht zu haben, und jetzt
endlich im Niger zu sein, trete ich ein. Das Auto parke ich mit der kaputten Scheibe zu einer Wand.
Der Raum im Innern der Baracke ist finster und kühl. Die Wände grün, Sandboden, ein paar Tische und
Bänke, die Stimmung ist ausgelassen. Ein Italiener mit langer grauer Mähne und nicht mehr vollzähligem
Gebiss hat zwei schwarze Nutten im Arm, ist laut und blau. Das Bier bekommt man durch ein Loch in der Wand gereicht,
durch das man einen finsteren Raum mit ebenso finsteren Gestalten erkennen kann - Gestalten, die ein riesiges Ungetüm
von Kühlschrank und sich gegenseitig bewachen. Ich setze mich und versinke in andächtiger Betrachtung dieser
grünen Bierflasche mit einem orange - braunen Gazellenkopf auf dem Label. Nach dem ersten skeptischen Schluck
stelle ich mit Erstaunen fest, es schmeckt tatsächlich nach Bier. Es schmeckt gut! (Anscheinend taugt es auch als
Bremsflüssigkeit.) Während ich genüsslich die zweite Flasche leere, fragt mich ein Schwarzer aus
Senegal, ob ich ihn nach Arlit mitnehmen würde. Ich sage ihm zu, und er spendiert mir dafür eine weitere Flasche
Bier und gegrillten Hammel, den ein Targi auf einer Messingplatte auf dem Kopf herumträgt und feilbietet.
Bedächtig stellt er die große Platte auf den Tisch, beginnt mit einem Krummsäbel lange Streifen von
der Keule des Tiers zu schneiden und in einen Trichter aus braunem Packpapier zu füllen. Das Fleisch mit Zwiebeln
und scharf süßlichen Gewürz gibt einen guten Kontrast zum BIER.
Irgendwann erinnere ich mich, wo ich bin und was ich hier zu schaffen habe, erinnere mich auch meines Freundes und
Weggefährten. Es ist an der Zeit mal nach ihm zu schauen und so bewege ich mich auf das grelle Rechteck zu,
welches die Türe darstellt. Die Hitze und die Sonne draußen sind für mich wie ein großer,
gelber, weicher, aber bestimmter, unbeirrbarer Schaumgummihammer, der mich mit Zeitlupentempo frontal trifft. Das
Bier tut seine Wirkung. Mir knicken fast die Knie weg, und ich beschließe schnell in die vertraute Atmosphäre
der Bar zurückzukehren, egal was mit Daniel los ist. Hier, an einem Ort, den man sich nur schwerlich vorstellen kann,
wenn man ihn nicht selbst gesehen hat, fühle ich mich wohl und lasse mich volllaufen.
Irgendwann kommt Daniel. Er ist zerknirscht! Man hat ihn erleichtert. Der Zöllner sah bei der Kontrolle einen
Walkman, den Daniel aber als Gastgeschenk für die Familie vorgesehen hatte, bei der er in Ghana wohnen wollte. Um
den Walkman zu bekommen übersah der Zöllner einen Stempel, der für die Grenzüberquerung
unerlässlich war. Also bot Daniel dem Zöllner 50 DM. "Da kann man leider nichts machen." Der
Zöllner stellte sich stur. Also nahm Daniel ihm die 50 DM wieder weg und gab ihm den Walkman. "Da kann man leider
nichts machen." Der Zöllner nimmt die Papiere von Daniel und steigt aus dem Auto. Daniel folgt ihm, sein Puls ist
auf 180, und drückt ihm noch die 50 DM in die Hand. Doch auch das genügt dem Zöllner immer noch nicht.
Er fragt Daniel, ob er die Geschenke auch von Herzen gerne geben würde. Daniel musste gute Mine zum bösen
Spiel machen.
Als auch die Franzosen alle glücklich über die Grenze sind, brechen wir auf, Richtung Osten. Über die
topfebene Wüste, glatter Sand in alle Richtungen bis zum Horizont. Wie mit der Wasserwaage abgezogen, kein Loch, keine Delle, kein Hügel. Fatzenglatt und gerade. Auch keine Häuser, Sträucher Fahrzeuge. Man kann sich hier sehr leicht vorstellen, auf einem Sandplaneten zu stehen. Andererseits ist es schwer vorstellbar, dass es auf diesem Planeten Dinge gibt wie Wälder oder Wasserfälle oder Cocktailpartys am Pool. Aber irgendwann schleichen sich wieder Auffälligkeiten ins Landschaftsbild, und das ist gut so.
Mohammed sitzt neben mir. Der Pulk von Fahrzeugen ist auf ca. 100 Meter Breite verstreut. Es sieht
gut aus. Fast ein Dutzend Fahrzeuge nebeneinander, auf verschiedener Höhe, alle eine riesige Staubfahne hinten dran,
alle mit einer höllischen Speed, doch die Positionen zueinander verändern sich kaum. Es hört sich auch gut
an. Ein Peugeot hat seinen Auspuff verloren. Manchmal bleibt Daniels Karre stehen. Er hat seinen Benzinfilter immer noch
nicht eingebaut. Jetzt ist sein Vergaser verdreckt. Ich fühle mich nicht zuständig. Der LKW Fahrer hilft. Das
Auto bleibt immer wieder stehen und wir kommen nicht schnell voran.
Irgendwann biegt der LKW 90° links ab und hält an. Der Fahrer hat entschieden, es gibt eine Rast. Es ist schon wieder
Abend. Wir fahren zurück, bauen eine lose Wagenburg, breiten uns aus. Hier ist Platz. Es gibt etwas Warmes zu essen.
Ich richte mein Nachtlager, als plötzlich der Motor des Lastwagens anspringt. Dabei ist es schon fast elf Uhr. Unter
den Franzosen helle Aufregung. Sie rennen herum, diskutieren. Der LKW-Fahrer will weiter fahren.
Mir ist das alles egal. Ich bleibe hier, ob die anderen nun weiterfahren oder nicht. Daniel wartet ab und beobachtet das
Ganze. Mohammed sagt in gebrochenem Englisch zu mir: "Stephan, du bist wie das Wasser; ruhig, und du bewegst dich nur
langsam hin und her." Und dabei macht er eine Wellenbewegung mit seiner Hand.
Erstaunlicherweise stellt der LKW-Fahrer den Motor irgendwann wieder ab. Der Machtkampf ist zu Ende.
Von Arlit nach Agadez
Es ist ein unglaubliches Gefühl, wieder eine Straße unter den Rädern zu haben. Irgendwie unfreier.
Niger ist ein Polizeistaat. Man wird ganz legal schikaniert, oder sagen wir aufgehalten. Vor jeder Stadt muss man
sich am Schlagbaum ins "große Buch" eintragen, Name, Adresse, Fahrzeug, Eltern usw. Dann muss man sich in jeder
Stadt einen Stempel holen und manchmal dafür eine Départementsteuer bezahlen. Wenn man den Stempel hat kann man die
Stadt wieder verlassen, nachdem man wieder am Schlagbaum gehalten und sich ins "große Buch" eintragen hat.
Einmal ist dieser Schlagbaum kein Schlagbaum, sondern eine dreckiges, graues Stück Seil, dass ich fast
übersehe. Ich bremse scharf und stoppe kurz vor dem Seil. Den Polizisten ist wahrscheinlich den ganzen Tag langweilig.
Deshalb benutzen sie die Gelegenheit, etwas Leben in die Bude zu bringen. Ich werde zurück gewinkt und muss ca.
fünf Meter zurücksetzen. Dann fragt mich der Bulle, ob ich das Seil bezahle, dass ich fast kaputtgemacht
hätte. Sie versuchen es. Doch nicht mit mir! Ich rege mich gleich auf, sage, dass das Diebstahl sei und frage,
wer hier der Chef sei. Er sagt: "Ich bin der Chef." Ich hätte ihn einen Dieb genannt. Ich sage :"Klar ist das
Diebstahl, wenn ich was bezahlen soll, was ich gar nicht kaputtgemacht habe." Ich frage den Nächsten wer hier der Chef
sei. Auch er behauptete der Chef zu sein.
Keiner von uns gibt nach.
So geht das eine Weile hin und her. Die sollen sich an mir die Zähne ausbeißen. Sie wollen einen ganzen
nigerischen Monatslohn für das verdammte Seil.
Naja, irgendwann wird mir die Sache auch zu bunt, und ich biete ihnen das Stück Seil von mir an, mit welchem ich die Sandbleche
festgebunden hatte, die ich schon nicht mehr besitze.
Doch sie Rücken von ihren Forderungen nicht ab. Nach einer Weile merken sie, dass es so
nicht weitergeht. Und sie lassen mich passieren; nicht ohne vorher diskret nach meinem Seil zu fragen, welches ich ihnen
diskret gebe. (Irgendwie versteht man sich gegenseitig.)
Wir erreichen am nächsten Nachmittag Arlit in sengender Hitze. Es beginnt das Verhandeln, Bescheißen,
Täuschen, Geschäfte machen und 500 km weiter bin ich dann endlich meinen BMW für wenig Geld an einen
Zöllner los, der nichts merkt von der kaputten Scheibe, dem heulenden Getriebe, dem durchgeknickten Fahrwerk. Er sagt
mir nur, dass Ersatzteile für ihn kein Problem seien. Im Bedarfsfalle werde er einfach einen durchfahrenden BMW
konfiszieren. So einfach geht das in Afrika. Nun bin ich Besitzer von einer Plastiktüte voll Geld und befolge die
wichtigste Regel nach einem solchen Deal. Ich mache mich aus dem Staub.
Mit Daniel fahre ich Richtung Niamey. Er setzt mich bald, verdammt bald ab. Ich nehme den Bus weiter nach Niamey und
Ouagadougou. Andere Kulturen fahren hier im Bus mit, barbusige Frauen mit geschlungenen Zöpfen und Menschen mit
Narbenmustern im Gesicht. Doch gewisse Dinge kommen einem bekannt vor. Das Schnattern und Zetern der Frauen zum Beispiel,
oder das Ansehen, dass die Polizisten genießen. Die machen auch hier blöd rum.
Nachts während der Warterei an der Grenze trinke ich Lipton Tee mit viel Milch. Wie sagte der schwarze Polizist neulich? "If you can't wait don't come Africa."
Die Nächte sind unvergeßlich. Die Hütten und Gassen
werden durch die Petroleumlampen nur spärlich ausgeleuchtet, schwarze Gestalten huschen konturlos herum. Es ist warm,
lebendig, geschäftig und undurchsichtig.
I love Africa!